Brasilien/Argentinien – Korruption: Washington weiss es besser

Samstag, 24. Februar 2018



(zas, 23.2.18) Das Verfahren, um Lula aus dem Präsidentschaftsrennen zu entfernen und einzuknasten, ist überladen mit schwerwiegenden Manipulationsindizien (S. Brasilien: Manipulierte Dokumente als Beweismittel gegen Lula da Silva?). Doch jüngste Artikel in den brasilianischen Medien deuten darauf hin, dass die ganze „Korruptionsbekämpfung“ im Zusammenhang mit dem früheren Infrastrukturgiganten Odebrecht nicht nur in Brasilien, sondern in weiten Teilen Lateinamerikas, gezielt manipuliert wird – und zwar unter „Mitwirkung“ der USA.
Am 29. Januar 2018 veröffentlichte das Flaggschiff der Regimemedien, O Globo, einen Artikel, der für einige Tage kaum grosse Aufregung zu bewirken schien. O Globo zitierte einen Staatsanwalt aus der in Sachen Lula, Petrobrás und Odebrecht führenden Ermittlungsequipe von Curitiba, Carlos Fernando Santos Lima. Der Konzern Odebrecht hatte anscheinend zwei verschlüsselte Websites zur Dokumentierung seiner legalen und illegalen (Bestechungs-) Ausgaben geführt, Drousys und MyWebDay. Auf Kronzeugen-Aussagen inhaftierter Odebrecht-Manager etwa fussen die beiden bisherigen Verurteilungen Lulas. Nun sollten Kronzeugen ihre Aussagen eigentlich belegen. Nur, wie Staatsanwaltschaft Santos Lima in O Globo (zitiert in Brasil247 vom 4. Februar 2018) sagte: Die elektronischen Krypto-„Schlüssel für den Zugang zu den Geheimnissen von Odebrecht sind verloren.“ Brasil247, ein wichtiges Newsportal, hatte einen Artikel von Jeferson Miola, ehemaliger Direktor des administrativen Sekretariats des Mercosur, abgedruckt. Miola kopiert aus dem (nur gegen Bezahlung einsehbaren) O Globo-Artikel ein weiteres Zitat des Staatsanwalts: Das MyWebDay-„System ist mit zwei verlorenen Schlüsseln verschlüsselt; es gibt keine Möglichkeit, sie wieder zu kriegen. Und ich weiss nicht, ob es sie jemals geben wird.“ Miola fragt sich u. a., ob die Ermittlungsbehörden von Lava Jato, also den grossen Korruptionsfällen, Kronzeugen Strafermässigung erteilt haben, ohne deren Aussagen zu verifizieren und warum sie sich stets geweigert haben, den früheren Odebrecht-Anwalt Rodrigo Tacla Duran einzuvernehmen, der ausgesagt hatte, im verschlüsselten System seien Daten gefälscht worden, um „gezielt bestimmte Angeklagte zu inkriminieren“?
Die Folha de São Paulo (FSP) veröffentlichte am letzten 4. Februar (Marcelo Odebrecht insinua que cunhado destruiu provas) explosive Aussagen des früheren Odebrecht-Chefs Marcelo Odebrecht, der nach zweieinhalb Jahren Gefängnis und umfassenden Kronzeugenaussagen in den Hausarrest entlassen wurde. Marcelo ist FSP zufolge in einen Streit mit Nachfolgern und Ex-Kollegen im Unternehmen verwickelt, was seine neuen Aussagen etwa zu seinem Schwager und Chef der Rechtsabteilung des Multis, Maurício Ferro, erkläre. Die FSP schreibt: „Marcelo zufolge hat er selbst Anfang 2015, als er noch das Unternehmen leitete, veranlasst, dass Ferro die Abteilung [der Korruptionsaufträge] schliesse. Diese Abteilung – der Sektor der strukturierten Operationen – unterstand direkt Marcelo.“ Dem Blatt zufolge hat Odebrecht dies so in einem Verhör letzten Dezember ausgesagt. Und das Blatt bringt nun Washington ins Spiel:
„In der Operation, um den Sektor zu beenden, wurden einige Zugangsschlüssel zu den Geheimarchiven von Odebrecht gelöscht. Dies ergibt ein Dokument des Justizministeriums der USA, wo Odebrecht und Braskem ebenfalls kooperiert haben, um ein Verfahren in jenem Land einzustellen. [Braskem: Joint Venture von Odebrecht mit Petrobrás]. Dem amerikanischen Dokument zufolge sind zwei Kader aus der Bestechungsabteilung in die USA gereist, um das elektronische System zu zerstören, das das Unternehmen benutzte, um die illegalen Zahlungen geheim zu halten. Im Januar 2016 haben, stets nach dem amerikanischen Dokument, Luiz Eduardo da Rocha Soares und Fernando Migliaccio, die elektronischen Zugangsschlüssel zum System MyWebDay zerstört.“
Jeferson Miola schreibt am 5. Februar (Uma enorme nuvem de suspeição recobre a Lava Jato):
“Das Aussage-Abkommen von Odebrecht mit Lava Jato betraf 77 hohe Funktionäre des Unternehmens. Der Megadeal wurde als ‚Denunziation des Endes der politischen Welt‘ bekannt, er wurde im November 2016 unterzeichnet. Merke: im November 2016. Das Liefern von Beweisen für die von Aussagewilligen denunzierten Verbrechen ist eine unabdingbare Voraussetzung für jegliche Übereinkunft mit Kronzeugen. Im Fall von Odebrecht würde dies den vollen Zugang der Lava-Jato-Task-Force zu den beiden Systemen mit den Einträgen über Bestechungsgelder und finanzielle Wahlhilfen, also Drousys und MyWebDay, bedeuten.  Doch wenn die FSP schreibt ‚im Januar 2016 [wurden] die elektronischen Zugangsschlüssel zum System MyWebDay zerstört‘, heisst dies, dass, als der Aussagedeal mit Odebrecht im November 2016 unterschrieben wurde, das Unternehmen nicht mehr im Stand gewesen wäre, die in MyWebDay archivierten Beweise zu liefern, da die Zugangsschlüssel im Januar 2016 zerstört worden waren?“
(Einer Note von Odebrecht zuhanden des Untersuchungsrichters von Curitiba zufolge befindet sich das versiegelte MyWebDay-System, zitiert FSP in ihrem Artikel, „in der Obhut der Schweizer Behörden.“)
In Argentinien „ermitteln“ die Behörden unter dem Schlagwort Odebrecht angestrengt gegen das kirchneristische Lager. Es lohnt sich diesbezüglich ein Blick auf einen Artikel des prominenten argentinischen Rechtsblattes La Nación vom 9. Juli 2017 (Estados Unidos brindará datos a jueces y fiscales que investigan a Odebrecht). Odebrecht-Kronzeugen beschuldigen Mitglieder der Administration von Cristina Kirchner der Bestechung. Die argentinischen Behörden auf Macri-Kurs hatten Probleme mit dem Einholen der entsprechenden Unterlagen aus Brasilien. Denn das Regierungslager, so La Nación, „misstraut diesem Vorgehen, bei dem die Generalstaatsanwältin involviert ist, denn es hält dafür, dass Alejandra Gils Carbó die Angaben politisch benutzen könnte, um das Regierungslager zu schädigen. Es bezieht insbesondere mit ein, dass beim Vertrag für den unterirdischen Zug von Sarmiento der argentinische Partner von Odebrecht das Unternehmen Lecsa war, damals Eigentum von Ángelo Calcaterra war, dem Cousin von Präsident Mauricio Macri.“ Die Macri-Regierung wusste einen Ausweg: Sie schickte letzten Juli mehrere Ermittler und Richter nach Washington, um dort die (seither andauernde) Speisung mit US-„Aktenerkenntnissen“ einzuleiten. (Die Generalstaatsanwältin liess Macri mittlerweile absetzen.)