Argentinien: Die Causa Milagro Sala

Donnerstag, 5. Mai 2016


Milagro Sala. Quelle: Página 95.

(zas, 5.5.16) Im Dezember 2015 ist die Rechtsregierung von Mauricio Macri angetreten. Im gleichen Monat wurde in der Provinz Jujuy Gerardo Morales, Spitzenpolitiker der mit Macri verbandelten Partei UCR, zum Gouverneur gewählt. Er kündete sofort an, die bisherigen Sozialprogramme mit den Kooperativen in der Provinz zu stoppen. Die Túpac Amaru ist die wichtigste dieser Kooperativenorganisationen. Sie war Anfang des Jahrhunderts aus der Piquetero-Bewegung heraus entstanden und hatte sich zur weitaus grössten Sozialorganisation in der Provinz entwickelt. Die Túpac war bekannt für Strassenblockaden und Protestlager vor Regierungsgebäuden. Politisch orientierte sich die indigene Organisation an der Dynamik im Bolivien Evo Morales. Die Zentralregierungen von Néstor und Cristina Kirchner arbeiteten mit grossen Geldbeträgen mit der Organisation zusammen, was den Aufbau von kleineren Fabriken (z. B. Ziegelsteine), Wohnungen, Schulen oder einem Gesundheitszentrum für die indigenen Unterklassen ermöglichte.
Bekannteste Anführerin der Túpac war Milagro Sala, eine frühere Piquetera, eng verbunden mit der Gewerkschaft des öffentlichen Personals ATE in Jujuy. Im November 2015 wurde sie Abgeordnete im Mercosur-Parlament Parlasur. 2013, vor ihrer Wahl ins Provinzparlament, kam es zu einem bewaffneten Angriff auf sie, bei dem zwei ihrer Begleiter verletzt wurden. Morales, damals noch Senator, sprach von einem „Zusammenstoss zwischen Mafias“. Der ermittelnde Staatsanwalt widersprach und betonte, dass es sich um einen Mordanschlag gehandelt habe. Er verlangte, dass die Namen von Verdächtigten geheim gehalten werden. Wenige Stunden später gab Morales die Namen der noch Flüchtigen bekannt, Leute aus seiner Entourage.
Mitte Januar 2016 begann die Túpac ein Protestlager vor der Provinzregierung. Am 16. Januar 2016 wurde Milagro Sala in ihrem Haus verhaftet, in Anwesenheit von Funktionären der Regierung Morales. Grund: „Auflehnung gegen Regierungsentscheide“. Der Staatsanwalt erklärte danach, die Frau bleibe so lange im Gefängnis, „bis das Protestlager beendet wird“. Mittlerweile zielen die Untersuchungen darauf, Sala als Chefin einer erpresserischen Mafia – der Túpac Amaru - darzustellen, die Staatsgelder u. a. für Bestechungsgelder an Cristina Kirchner zweckentfremdet habe. Milagro Sala sitzt weiter als politische Gefangene ein. Für die Respektierung ihrer Rechte setzten sich erfolglos eine Reihe internationaler Organisationen ein: Amnesty, Parlasur, selbst OAS-Generalsekretär Luis Almagro, Gruppen von EuroparlamentarierInnen verschiedener Couleur, die UNO-Arbeitsgruppe über willkürliche Verhaftungen u.a. 
In Argentinien selbst ist die Compañera eine cause célèbre. Ihr Schicksal und die laufende Zerschlagung der Túpac Amaru stehen für das landesweit anschwellende Repressionsregime unter der Macri-Regierung. Im Artikel El segundo desmembramiento de Túpac Amaru beschreibt Marta Vasallo vom Komitee für die Befreiung von Milagro Sala überdies weitere Unterdrückungsbeispiele in der von Agrarwirtschaft und Rohstoffförderung charakterisierten Armutsprovinz Jujuy. So berichtete ein Junge aus El Carmen etwa, wie er und andere bei einer Protestsperre von der Polizei geschlagen und mit „Verschwindenlassen“ bedroht worden waren. Vasallo schreibt weiter: Andere „beschreiben das Verfolgungsklima In Caliluega und in San Pedro, wo das Tragen eines T-Shirts der Túpac Anlass für Verhöre ist, damit sie aussagen, sie trügen diese T-Shirts unter Zwang. Polizeioperationen begleiten in 17 Gemeinden und in der Provinzhauptstadt die Entleerung von Fabriken, Gesundheitszentren, Schulen und Pärken, die von der Túpac erbaut und unterhalten worden sind. Die Behörden insistieren auf dem Thema der Erpressung gegenüber Túpac-Mitgliedern, die besonders verwundbar sind, denn sie sind jetzt arbeitslos und werden nirgends angestellt: ‚Hast du ein Strafverfahren, säubern wir das, aber du musst gegen Milagro Sala aussagen.‘“

Bild: economiapopular.coop
____________________________________________

„Heute wirst du verhaftet, wenn du nicht gegen Milagro aussagst“*

Für die Agencia Paco Urundu (APU) befragten Enrique de la Calle und Boris Katunaric den Aktivisten der Organisation Túpac Amaru, Alejandro « Coco » Garfagnmini.

APU: Gerade hat man von neuen Hausdurchsuchungen und Operationen gegen Kader der Túpac erfahren. Wie ist die Situation?
ACG: Wir erleben ein fürchterliches Repressionsniveau, das vor Monaten begonnen hat. Wir haben acht Verhaftete. Allein gestern gab es zwanzig Durchsuchungen. Sie haben das ganze Haus von Milagro geschlissen. In Jujuy wirst du heute verhaftet, wenn du nicht gegen Milagro aussagst. Das ist die Realität. Sie haben keine Beweise. Die Situation ist sehr dramatisch.

Wo steht das Verfahren gegen Sala?
Während vier Monaten gab es gegen sie keine Untersuchungshaft oder sonst was. Sie war faktisch entführt. Nach dem Strafgesetz von Jujuy ist der letzte Termin für die Verhängung von U-Haft nach vier Monaten. Jetzt haben sie ohne Beweise U-Haft verfügt, im Sinn eines Staatsanwalts, der ein Auftragskiller des Provinzgouverneurs Gerardo Morales ist. Sie wollen sie im Knast behalten. Sie haben sieben Anschuldigungen erhoben. Wahnsinn.

Mit welcher Begründung?
Kriminelle Vereinigung. Sie stützen sich auf Aussagen von Personen, die dazu erpresst worden sind. Wie Mabel Balconte[1], die bedroht worden war. Das sagte ihr eigener Parlamentssekretär aus. Würde sie die vorgegebenen Sprüche nicht wiederholen, würden ihre Kinder eingesperrt. Das ist die Logik von Morales. Entweder du sagst gegen Sala aus oder du kommst hinter Gitter. Von den politischen Parteien her gibt es keinen Widerstand. Wir haben ein Einparteiensystem. Nur wir oder der Frente de Izquierda[2] machen Opposition gegen Morales. Soviel zu denen, die von Demokratie in Jujuy reden. In der Provinz gibt es keine Verfassungsgarantie. Ich höre mir selber zu und kann es nicht glauben: Die Vergangenheit wiederholt sich.

Werdet ihr gegen die Provinzjustiz klagen?
Diese Woche werden wir Klage erheben gegen Morales, Staatsanwalt Mariano Mirando und Mabel Balconte. Wir machen dies zusammen mit dem Block des Frente para la Victoria[3]. Wir fordern, dass die Provinzjustiz untersucht wird. X-wer wird für x-was verhaftet. Sie kerkern dich für Monate ein, während dem sie angeblich Untersuchungen anstellen.

Welche Beziehung zwischen dem Staatsanwalt und Cambiemos[4] gibt es?
Mirando ist Bevollmächtigter von Cambiemos in der Provinz. Zudem führt die Staatsanwältin Liliana Montiel, eine Cambiemos-Aktivistin, die allgemeine Untersuchung gegen Túpac. Es ist eine absolute Verfolgung. Es ist sehr ernst. Papst Franziskus hat gesagt, der Revanchismus müsse aufhören, aber diese Typen kümmern sich um nichts. Es ist zum Verrücktwerden. Wir erleben eine phänomenale Verfolgung. Das erinnert uns an die dunkelsten Zeiten unseres Landes. 
Letzten Februar schickte Papst der Gefangenen ein Geschenk.


[1] Provinzparlamentarierin
[2] Linksfront, Allianz trotzkistischer Parteien mit einigen Sozialorganisationen
[3] Kirchneristischer Block.
[4] Rechtes Parteienbündnis um Staatspräsident Macri.