Bedroht die US-Flotte in Costa Rica Nicaragua oder Kuba?

Montag, 19. Juli 2010

(zas, 19.7.10). Zum 31. Jahrestag der sandinistischen Revolution eine unerfreuliche Reflktion. Für einmal nicht des Inhalts, was die regierenden Sandinistas doch für miserable Subjekte seien, sondern über die Frage, ob die USA eine Militäraktion in Betracht ziehen.

Mag sein, dass die nachfolgend dargestellten Thesen des venezolanischen Oberst a.D. Braulio Martínez Zerpa zur angekündigten Stationierung einer grossen US-Streitmacht in Costa Rica an der Realität vorbei schiessen. Mit Bestimmtheit tun sie das wesentlich weniger als die herrschende Darstellung in den Medien. Von Washington bis Zürich lassen sie die Thematik nämlich schlicht unerwähnt. Schliesslich ist der Chávez von Venezuela der Militarist, und keine Infobyte soll das schöne Bild der globalen Warlords trüben.

Der in diesem Blog schon kurz erwähnte US-Militäraufmarsch in Costa Rica  gibt zu vielen Fragen Anlass. Es handelt sich dabei um ein konkretes In-Erscheinung-Treten der 4. US-Flotte, die vor zwei Jahren gegründet wurde, explizit mit Lateinamerika als Operationsgebiet. Ihr Einfall in Costa Rica – offiziell von einer Armee frei -  ist erst recht bedrohlich, als er im Kontext der neuen US-Stützpunkte etwa in Panama oder Honduras, des gigantischen Ausbaus der US-Militärpräsenz in Kolumbien oder der US- und NATO-Manövern rund um die holländischen Basen auf den Venezuela vorgelagerten Inselchen Curaçao und Aruba zu sehen ist. Manöver, die systematisch die Verletzung des venezolanischen Luftraumes beinhalten, wie von Hugo Chávez gerade erneut thematisiert und vom Mainstream wie gewohnt verschwiegen.

Zuerst kurz einige Fakten: Die rechte Parlamentsmehrheit von Costa Rica hat dem Gesuch der Staatspräsidentin Laura Chinchilla um eine grosse US-Militärpräsenz im Land in der 2. Jahreshälfte zugestimmt. Konkret geht es um (vermutlich rotierende) 7000, nach einigen Quellen 13'000 Marines, 46 Kriegsschiffen der US-Navy und 200 Kampfhelikoptern –und –fliegern. Darunter auch der 2006 vom Stapel gelaufene Flugzeugträger Makin Island, der bis zu 1900 Truppenmitglieder, je 42 Helikopter des Typs CH-46- und Blackhawk sowie 5 AV-8B-H-Kampfflieger transportieren kann. Dies alles, so die offizielle Begründung in Costa Rica, um die Drogenbekämpfung zu optimieren.

Die Drogenkriegs-Ausrede ist natürlich Quatsch. Der venezolanische Luftwaffenoberst a.D. Braulio Martínez Zerpa untersucht in einem kürzlich publizierten Artikel „Los verdaderos motivos del envío de la fuerza de tarea imperial a Costa Rica“ fünf  Hypothesen für die neue militärische Eskalation der USA.

Zu Beginn hält er fest, wozu der Militäraufmarsch nicht dient, nämlich „in ein Land mit einer mittleren Luftwaffenkapazität einzufallen oder es anzugreifen, da der Flugzeugträger nur über Helikopter und die sechs Harrier verfügt“ . Dito fällt wegen fehlender Luftunterstützung eine Blockade eines Landes weg, eine Landinvasion mit nur 13'000 Marines ist ohne vorheriges „Weichklopfen“ mit einer Angriffsluftwaffe ebenfalls kein Thema. „Worum also könnte es sich handeln? Im Prinzip darum, einem anzugreifenden Land mit der Blockade eines bestimmten Meerraumes militärische Unterstützung verunmöglichen; es könnte sich um die Bodeninvasion eines in der Nähe befindlichen kleinen Landes handeln oder um die Unterstützung einer grösseren, in einem Land mit mittlerer Macht geplanten Aktion“.

Martínez scheint die an sich plausible Variante, dass das auf ein halbes Jahr befristete Abkommen verlängert werden kann, nicht in Betracht zu ziehen, denn er hält aufgrund des gegebenen sechsmonatigen Zeitraumes fünf Hypothesen für möglich. Es könne sich handeln um „1) einen Angriff auf ein kleines Land mit reduzierter Wehrkapazität im Einflussbereich der Task Force; 2) eine temporäre Stationierung, um zum gegebenen Moment zum eigentlichen Ziel vorzurücken; 3) die Erwartung, dass eines  oder mehrere Länder der Region dem kleinen Land beistehen könnte; 4) ein Ablenkungsmanöver – die wahre Aktion spielt sich an einem etwas weiter entfernten Ort ab; 5) eine Einschüchterungsaktion gegenüber den Ländern der Region, die sich weigern, sich weiter als Kolonien des Imperiums zu begreifen“.

Zur These 1 (Angriff auf ein kleines Land) führt Martínez natürlich Nicaragua an, „mit bescheidenen Streitkräften, angrenzend an Costa Rica … Zudem grenzt Nicaragua im Norden an Honduras, wo sich mit der Luftwaffenbase Palmerola einer der komplettesten Militärstützpunkte des Imperiums in der Region befindet. So dass ein Angriff aus dem Norden, kombiniert mit einem aus dem Süden, ein perfektes Manöver ergäben“. Motiv: Nicaragua könne mit seiner "sozialistischen Politik" noch nicht definierten Ländern wie El Salvador oder Guatemala als Beispiel dienen; weiter könnte das Land mit Kuba und Venezuela ein Dreieck für gegenseitige Hilfsaktionen in der Karibik bilden. Die Möglichkeit eines nicaraguanischen Kanals zwischen Atlantik und Pazifik, in der ureigenen Einflusszone, an dem Russland schon Interesse manifestiert habe, stelle für das Imperium zudem eine nicht annehmbare Möglichkeit dar.

These 2 (befriste Verschiebung, um zum Ziel erst noch zu gelangen): „Schauen wir wieder auf die Karte und navigieren wir von Costa Rica in Richtung Osten, so stossen wir auf Maracaibo und Caracas. Etwas nördlicher befindet sich Curaçao, wo das Imperium eine Marinebasis unterhält. 46 Kriegsschiffe in Curaçao zu stationieren, würde sofort den Verdacht eines Angriffs auf Venezuela wecken. Aber wenn sie sich auf etwas Distanz zu unserem Vaterland halten und aber stets mit Kurs auf Curaçao, können sie problemlos durch Kampfllieger von ihren Basen in Panama, Kolumbien und Aruba aus unterstützt werden“. Für die Konkretisierung dieses Möglichkeit bräuchte es allerdings weiterer Schritte wie der Entsendung von Kampffliegern in diese Basen, was noch nicht der Fall ist.

These 3 (Verhinderung durch Unterstützung durch Dritte): Venezuela und Kuba werden an einer militärischen Unterstützung von Nicaragua gehindert.

These 4 (Ablenkungsmanöver). Der geplante Angriff gelte in Wirklichkeit nicht Nicaragua, sondern Kuba und würde vom militärisch besetzten Haiti aus gestartet werden. (Laut Angaben des US-Südkommandos soll allerdings die militärische Besetzung der Insel nach dem Erdbeben beendet worden sein.) Martínez stellt sich allerdings die Frage, ob man sich dafür tatsächlich die Mühe einer Ablenkungsmanövers einiges weiter im Westen mache.

These 5 (Einschüchterung). „Vermutlich ist das die wahre Absicht des Imperiums, aber man muss sich fragen, warum sie nur sechs Monate in Costa Rica sind, wo sie doch zeitlich unbeschränkt sieben Basen in Kolumbien haben. Zudem stellt sich auch die Frage, warum in Costa Rica, wo sie doch von diesem Ort aus den Rest der südamerikanischen Länder nicht einschüchtern können, da sie weit weg sind und die dort stationierte Militärmacht nicht ausreicht, um sie in Angst zu versetzen.“

Für Martínez ist die Schlussfolgerung klar: „Die Analyse lässt uns annehmen, dass es sich um eine Invasion von Nicaragua oder Kuba oder von beiden handelt.“
Soweit Martínez. Ob diese Überlegungen einer kritischen Beurteilung standhalten, wissen wir nicht. Vor dem US-gesponserten Putsch in Honduras hätten wir die Möglichkeit einer militärischen Invasion Nicaraguas sofort von der Hand gewiesen. Heute … ist die Unsicherheit punkto der realen Pläne des Imperialismus gross.

In Honduras gibt es nicht nur die regional grösste US-Luftwaffenbase Palmerola, sondern seit Kurzem zwei weitere US-Militärstützpunkte im Atlantikgebiet, auch sie selbstverständlich mit "Drogenbekämpfung" beweihräuchert, wie der honduranische feministische Zusammenschluss Visitación Padilla gerade wieder betont hat (resistenciahonduras.net, 15.7.10: Pentágono ya tenía planificada instalación de más bases militares en Honduras). Eine in der Laguna de Caratasca im Departement Gracias a Dios, die andere in Guanaja auf den Islas de Bahía.